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42. Schlüssel zur alten und neuen Heimat?

Haus- und Wohnungsschlüssel der Familie Migge, Königsberg, Hermannallee 4 a (vor der Flucht am 28. Januar 1945)

Ein Schlüssel oder gar ein fünfteiliger Schlüsselbund kann die Tür zu einer Wohnung, einem Haus oder einem Zuhause öffnen. Im Fall von Hertha Hesse, geb. Migge (1930-2014), stand der Schlüsselbund vielleicht auch für den Verlust ihrer ersten Heimat östlich der Oder-Neiße-Linie und für das Finden einer neuen Heimat im niedersächsischen Osnabrück.

Als Herthas Vater Friedrich Migge am 28. Januar 1945 die Haustürschlüssel zur Familienwohnung in der Hermannallee 4 a in Königsberg zog, ahnte die damals Vierzehnjährige nicht, dass sie den Ort ihrer Kindheit nicht wiedersehen würde. Über ihre Schulzeit in Ostpreußen berichtete sie wie folgt: „Wir lebten in einer Etagenwohnung, die mich ziemlich eingeengt hat. Sie lag an einem großen grünen quadratischen Platz, einem Spielplatz, der mit Pappeln umstanden war. Eine Freundin und ich, wir haben uns im Winter dort in den Schnee geworfen und mit den Armen einen polnischen Adler in den Schnee gezeichnet. Man musste seinen Kopf drehen, damit er einen Doppelkopf hatte, wie der polnische Adler. Wenn ich im Winter aus der Mädchenoberschule kam, zu Mittag gegessen hatte und mich um 14 Uhr 15 an meine Schularbeiten setzte, dann ging in Ostpreußen die Sonne unter: 14 Uhr 15.“

Der 28. Januar 1945 war jener Tag, an dem Hertha Migge, die 1930 in Stralsund geboren wurde, mit ihren Eltern Friedrich (1887–1952) und Frieda (1887–1976) aus Königsberg flog. Bei einer Kälte von minus 30°C trug jeder von ihnen nur das Nötigste in einem Rucksack bei sich. Dabei war auch der Schlüsselbund (fünf Schlüssel und ein Ring) zur Wohnung in der Hermannallee 4 a. Die Familie Migge gehörte den deutschen Flüchtlingen und Vertriebenen an, die als Folge des Zweiten Weltkriegs (1939–1945) ihre Wohngebiete verlassen mussten. So floh ein Teil bereits gegen Kriegsende 1944/45 vor der heranrückenden sowjetischen „Roten Armee“. Auf der Potsdamer Konferenz (17. Juli bis 2. August 1945) beschlossen die alliierten Siegermächte schließlich die Umsiedlungen der Deutschen, die auf dem Gebiet östlich der Oder-Neiße-Linie lebten – den Ost-Gebieten des ehemaligen Deutschen Reiches, die Polen zugesprochen wurden. Auch die deutschen Minderheiten in Ungarn und der Tschechoslowakei wurden nach Deutschland ausgesiedelt.

Rund 12,5 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene gelangten aus eben diesen Gebieten in Ostmitteleuropa in die noch bestehenden vier Besatzungszonen. Geschätzte 2 Millionen Menschen starben unter den Strapazen der gewaltsamen Flucht. Niedersachsen war nach Schleswig-Holstein das prozentual zweitgrößte Aufnahmegebiet im Westen: Auf der Fläche des 1946 neugegründeten Bundeslandes stellten die 1,82 Millionen Flüchtlinge 1949 sogar 26,4 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Dazu gehörte glücklicherweise auch die Familie Migge, die nur wenige Wochen nach ihrer Flucht bereits am 17. Februar 1945 nach Celle gelangen konnte. Dort erlebte die junge Hertha Migge ihre Pubertät und 1952 den frühen Tod ihres Vaters Friedrich. Im Anschluss an ihre Ausbildung zur Volksschullehrerin heiratete sie 1955 und zog zu ihrem Ehemann nach Osnabrück, wo sie gemeinsam eine Familie gründeten. Auch Herthas Mutter Frieda Migge ließ sich in Osnabrück nieder und traf sich, wie ihre Tochter später berichtete, regelmäßig mit anderen ostpreußischen Frauen in der Vitischanze zum Kaffeetrinken.

Während ihre Mutter noch an der alten Heimat hing und die Vitischanze für sie – wie ihre Tochter es später interpretierte – eine Art „ostpreußisches Hoheitsgebiet“ darstellte, suchte und fand Hertha Hesse, die mehr als 50 Jahre in Osnabrück lebte, ihre persönliche und emotionale Heimat letztlich doch gar nicht so sehr in einer neuen Stadt, sondern vielmehr in ihrem Ehemann: „Es war so abwegig, sich noch gedanklich an Ostpreußen zu binden, wenn man nicht psychisch kaputtgehen wollte. Daher kehrte ich mich davon ab. Ich hatte nur Kindheitserinnerungen an Ostpreußen. Meine Pubertät hatte ich in Celle erlebt. Und mit der Heimatstadt meines Mannes, Hameln, verband mich ein ganz warmes Gefühl. Ostpreußen bin ich gefühlsmäßig kaum noch verbunden. Ich habe für mich herausgefunden: Mein Mann war meine Heimat.“

Hertha Hesse reflektierte die Ursachen und Folgen der NS-Zeit, die auch ihr persönliches Leben mit geprägt haben, sehr kritisch und engagierte sich daher frühzeitig gegen Krieg als Ursache von erzwungener Migration und für Frieden. Unter anderem war sie Mitinitiatorin des „Forums Zeitgeschichte – Zeitzeug*innen erinnern sich“, das sich seit 2005 regelmäßig im Museumsquartier Osnabrück trifft und als Motto für die gemeinsame Arbeit gewählt hat: „Nie wieder Krieg!“

(Lena Weimer)

 


Steckbrief

Titel: Haus- und Wohnungsschlüssel der Familie Migge, Königsberg, Hermannallee 4 a (vor der Flucht am 28. Januar 1945)
KünstlerIn/HerstellerIn: unbekannt
Material/Technik: 6-teiliger Schlüsselbund, Ring mit fünf Schlüsseln (inklusive Schnapper), Metall, angerostet
Herstellungsort: wohl ehem. Ostpreußen
Datierung: vor 1945
Maße: Gesamtgröße: 10,5 x 3,5 x 17cm
Bemerkungen: Dauerleihgabe der Familie Hesse
Aufbewahrungsort: Museumsquartier Osnabrück, L 168/7

Wegen Umbau geöffnet

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