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24. Licht und Schatten

1) "Die wartenden Frauen"

Bilder sagen manchmal mehr als Worte. Licht und Schatten seiner Migrationserfahrung spiegeln sich in den Bildern eines irakischen Künstlers wider, dessen Flucht Mitte der 1990er Jahre in Osnabrück endete. Damals noch ohne staatliche Unterstützung, lernte er über mehrere Jahre die deutsche Sprache, um ein Kunststudium beginnen zu können. Sein irakischer Hochschulabschluss in Kunst wurde in Deutschland nicht anerkannt. Was er jedoch mitnehmen konnte, sind die Farben und Erinnerungen aus seiner Heimat, die ihn seitdem begleiten. Seine individuelle Sprache. Seine Malerei.

Die Anerkennung für seine Bilder, die ihm seine Kunstdozenten im Irak und später auch in Deutschland zollten, macht ihn stolz. Allerdings hat er viel und lange kämpfen müssen, um auch in Deutschland diese Anerkennung zu erfahren. Erst wurden sein Studium und sein Wunsch zu malen durch den Krieg in seiner Heimat unterbrochen. Als er sich nach einer seiner Ausstellungen im Irak nicht mehr sicher fühlte, beschloss er zu flüchten. Danach brauchte er mehr als vier Jahre, um wieder künstlerisch tätig sein zu können. Nachdem seinem Asylantrag in der Bundesrepublik stattgegeben wurde, begann er einen Deutschkurs an der Volkshochschule Osnabrück. Durch weitere Intensivsprachkurse, Unterstützung durch Bekannte und viel Durchhaltevermögen wurde er schlussendlich an der Universität Osnabrück angenommen. Am Ende seines Studiums fragte ihn eine Prüfungsdozentin dieselbe Frage, die ihn auch schon mehr als 15 Jahre zuvor seine Dozenten im Irak gestellt hatten: „Wie machst du das mit den Radierungen?“ Seitdem fühlt er sich wieder als Künstler anerkannt.

In Deutschland malt er andere Bilder als im Irak. Wichtige Bestandteile sind jetzt die Sonne und die Farben, die die Sonne hervorruft. Er malt gerne Frauen in „romantischen Farben“. Mit Schwarz malt er nicht mehr. Das passe nicht in seine Bilder. Diese Farbe repräsentiert nicht die Sehnsucht und Heiterkeit, die seine Bilder ausdrücken sollen. Dazu erzählt er auch von seinen ersten Eindrücken in Osnabrück. Hier nahm er viele Menschen ohne Schatten wahr. Aus seiner Künstlerperspektive fiel ihm das besonders auf. Es sei vielleicht eine andere Sonne hier. Außerdem hatte er den Eindruck, dass viele Menschen sich wie Roboter bewegen. Das öffentliche Leben sei anders und die Leute sind weniger an neuen Kontakten interessiert. Irgendwie fehlten die Farbe und die Wärme im Alltag. Im Laufe der Zeit hat sich seine Wahrnehmung allerdings verändert. Er hat Freunde gefunden und bunte Orte entdeckt, die ihm Wärme schenken.

Heute würde er, wenn er noch einmal vor der Entscheidung stünde, den Irak nicht wieder verlassen. Die Sehnsucht nach seiner Heimat ist weiterhin groß. 2011 war er nach 16 Jahren erstmals wieder in Bagdad, seiner Heimatstadt. Es war schön, meint er, wieder dort gewesen zu sein. Dennoch muss er sich ebenso eingestehen, dass das Leben, das Land und auch seine Familie ihm fremd geworden sind. Sowohl seine Mutter als auch sein Vater sind in der Zwischenzeit verstorben und seine Geschwister leben mit ihren Familien in eigenen Wohnungen. Damals hat er sein Wohn- und Lebensumfeld nicht freiwillig verlassen. Er hat gekämpft, um in Osnabrück anzukommen, hat sich trotz vielfältiger Diskriminierungen durchgesetzt, studiert, ein Atelier aufgebaut, Ausstellungen gehabt. Jetzt hat er ‚seinen Ort‘ gefunden. Die Stadt Osnabrück ist sein Zuhause geworden.

Zusammen mit dem Lied „Aboos Rohak song“ des Sängers Kazem Al Saher von dem 2003 veröffentlichten Album „Hafiat Al Kadamain“ lassen seine Bilder immer wieder einen Teil seiner Vergangenheit und seiner facettenreichen Identität aufleben. Sie spiegeln außerdem seine individuelle Art wider, seine Flucht und das Zurückgelassene in die Gegenwart mitzunehmen. Die Sehnsucht nach seiner früheren Heimat kann er durch die Malerei stillen. Wie drückt er sich aus? Stolze, starke Frauen, die Wasser holen, gehen aufrecht durch bunte Landschaften. Verschwommene Spiegelbilder, weiche, schemenhafte Übergänge und undeutliche Grenzen sind zu sehen. Anfang und Ende sind nicht erkennbar. Licht und Schatten wechseln sich ab.

Betrachtet man darüber hinaus seine Migrationserfahrungen, kommen in Hinblick auf die dargestellten Bilder Fragen auf: Inwieweit können unfreiwillige Übergänge (Flucht) nahtlos vonstatten gehen? Was muss zurückgelassen und was kann mitgenommen werden? Welche individuellen und sozialen Grenzen muss man überwinden, um Teil einer neuen Gesellschaft zu werden und um nicht mehr aufgrund bestimmter körperlicher Merkmale und Vorurteile aufzufallen bzw. ausgegrenzt zu werden? Er stellt eine zentrale Frage: „Welche elementaren Dinge braucht ein Mensch überall zum Leben?“ Seine bildlichen Antworten scheinen ‚Wasser‘, ‚Licht‘, ‚Wärme‘, ‚Beziehungen‘ und ‚Anerkennung‘ zu sein. Außerdem ein Ort, an dem man sich Zuhause fühlen kann. Diesen Ort nennt er heute Osnabrück.

(Tore Süßenguth)


Steckbrief

Titel: 1) „Die wartenden Frauen“; 2) „Die Bäuerin“; 3) „Das Rätsel“
KünstlerIn: A.
Material/Technik: Öl auf Leinwand
Herstellungsort: Osnabrück
Datierung: 2011
Maße: 1) 117 x 97 cm; 2) 127 x 119 cm; 3) 106 x 85 cm
Bemerkungen: Musik zu den Bildern: „Aboos Rohak song“ von Kazem Al Saher (2’57; Album „Hafiat Al Kadamain, 2003)
Aufbewahrungsort: A., Osnabrück

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