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20. „Wenn ich was anfange, bringe ich es zu Ende.“

Klarinetten-Mundstück von Vandoren, Paris um 1999

Réka H. wurde am 28. Dezember 1983 im ungarischen Szentes geboren. Ihr Vater Sándor H. und ihre Mutter Katalin N. sowie ihre ältere Schwester Anett leben bis heute in ärmlichen Verhältnissen. Daher unterstützt Réka ihre Familie finanziell. Im Alter von zehn Jahren entdeckte sie die Vorliebe für die Musik und fing an Klarinette zu spielen.

Das Schulsystem in Ungarn unterscheidet sich von dem in Deutschland. Die Grundschulzeit besteht von der 1. bis zur 8. Klasse. In der 9. Klasse musste Réka eine Hauptrichtung wählen. Für Sie kam nur die Musik in Frage. Auch ihr Musiklehrer bekräftigte sie in ihrer Entscheidung. Mit 14 Jahren besuchte sie das Gymnasium in Szeged. Dort lebte sie ohne ihre Familie. Sie hatte täglich bis 18 Uhr Unterricht. Nur am Wochenende war es ihr möglich, ihre Eltern zu besuchen. Im Alter von 18 Jahren absolvierte sie dort ihre Allgemeine Hochschulreife und studierte vier Jahre lang an einer Fachhochschule.

Im sechsten Semester plante sie mit ihrer Freundin eine Studienreise nach Italien, da beiden ein Stipendium gewährt wurde. Für die Studienreise, für die nur noch drei Plätze zur Verfügung standen, hatten sich vier Bewerber gemeldet. Alternativ wurde Deutschland als weiterer Studienort angeboten. Aufgrund ihrer Deutschkenntnisse, die sie schon in der Grundschule erlernt hat, wurde Réka Deutschland als Studienort zugeteilt. Sie war tief enttäuscht, da sie auf jeden Fall mit ihrer Freundin zusammen nach Italien fliegen wollte. Da ihr aber keine andere Wahl blieb, zumal sie das Geld wegen der Situation ihrer Familie dringend benötigte, entschied sie sich für Deutschland, wo sie nun monatlich ihr Stipendium ausgezahlt bekam.

Am 5. März 2005 kam sie zum ersten Mal nach Deutschland. Nach ihrem viermonatigen Aufenthalt in Osnabrück trat sie ihre Rückreise an. Sie war sehr angetan von der Stadt. Sie hatte hier sehr viel Spaß und Freude am Studium und sammelte dabei neue Lebenserfahrungen. Sie war so begeistert, dass sie wiederkehren wollte. Also begann sie in Osnabrück zu studieren. Nach längerem Aufenthalt verspürte sie allerdings großes Heimweh. Ihre Familie fehlte ihr sehr. Sie hatte nur telefonischen Kontakt und umso mehr freute sie sich auf die Heimreise. Als sie dann wieder nach Ungarn zurückkehrte, waren zehn Monate vergangen. Sie entschied sich, nicht mehr nach Deutschland zurückzufahren, obwohl sie schon zwei Semester hier absolviert hatte. Im Jahre 2006 schloss sie ihr Studium in Ungarn ab und erhielt dort ihr Diplom.

Als ihr später deutlich wurde, dass sie eine finanzielle Unterstützung dringend benötigte, da sie kaum noch über genügend Geld verfügte, änderte sie ihre Meinung über eine Rückkehr nach Deutschland. Zweifel und Sorgen plagten sie permanent und vor allem beschäftigte sie die Frage, wie und wo sie am besten Geld verdienen konnte. Daraufhin flog sie nach Deutschland um ihr begonnenes Studium in Deutschland zu beenden in der Hoffnung, hier einmal beruflich Fuß zu fassen. Sie sagte: „Wenn ich was anfange, bringe ich es zu Ende.“ Da war ihr Ehrgeiz, das Studium erfolgreich abzuschließen. Auch ihre Eltern bestärkten sie in ihrem Entschluss, nach Deutschland zurückzukehren.

Nachdem Réka sich für das Studium eingeschrieben hatte, galt sie als deutsche Studentin. Ihr war es fremd, dass Semestergebühren anfallen, denn in Ungarn werden keine Semestergebühren erhoben. Sie musste ihre ganzen Ersparnisse in die Semestergebühren investieren. Dies stellte für sie eine große Herausforderung dar. Réka hatte nur drei Semester zu absolvieren, da sie sich einige Fächer anrechnen lassen konnte, und plante für maximal zwei bis drei Jahre in Deutschland zu bleiben. Während ihres Studiums lebte sie in einem Wohnheim und bekam ihre ersten Schüler, die sie unterrichten durfte. Um über die Runden zu kommen, finanzierte sie ihr Studium und ihren Lebensunterhalt durch einen Nebenjob als Reinigungskraft bei Galeria Kaufhof.

Den Nebenjob verschwieg sie Ihren Eltern aus Scham. Sie ließ sie in dem Glauben, dass alles in Ordnung sei und sie sich keine Sorgen machen müssten. Während ihrer Arbeit lernte sie viele Immigranten kennen, die nur wenig Deutsch sprachen. Im Jahre 2007 suchte sie sich einen neuen Job und bewarb sich per Anzeige im Musikkonservatorium. Und tatsächlich erhielt sie dort eine Zusage.

Offiziell lebt Réka seit fünfeinhalb Jahren in Deutschland. Innerhalb dieser Zeit hat sie sehr viele Menschen kennen gelernt, die auch Freunde wurden. Vor der Sprache hatte sie keine allzu große Angst, da sie sich mit ihren Kenntnissen gut verständigen konnte. Dennoch fühlte sie sich zunächst stärker zu den Immigranten hingezogen. In deren Umgebung fühlte sie sich wohler als bei den Deutschen. Sie konnte sich gut in die Lage des anderen versetzen, wenn sich jemand nicht so gut ausdrücken konnte. Die Verständigung mit den Immigranten war einfach besser als mit den Deutschen. Von diesen fühlte sich aufgrund ihrer begrenzten Sprachkenntnisse anfangs ein wenig ausgegrenzt und nicht akzeptiert. Aber auch die eigene Furcht, nicht fließend Deutsch sprechen zu können, trug dazu bei, dass Réka wenig mit Deutschen zu tun haben wollte.

Eines Tages jedoch nahm sie all ihren Mut zusammen und begann, sich von nun an mehr mit Deutschen zu unterhalten und etwas zu unternehmen. Sie wollte unbedingt dazugehören, weil sie nun hier in Deutschland lebte. Auch sie war ein Mensch wie jeder andere, der das Recht hat, von der Gesellschaft angenommen zu werden, trotz eines Migrationshintergrundes. Um ein Teil der Gesellschaft zu werden, lernte sie zuerst die deutsche Mentalität kennen, um sie annehmen und mit ihr umgehen zu können. Es gab Zeiten, in denen sie sich sehr einsam fühlte, weil sie die einzige Ungarin war. Sie konnte sich mit niemandem auf Ungarisch unterhalten. Ihr fehlte ein Stück Heimat. Heute ist Réka allerdings froh, dass sie überwiegend nur Deutsch gesprochen hat, denn dadurch beherrscht sie nun die deutsche Sprache sehr gut. Wenn ihr manchmal die richtigen Worte nicht sofort einfallen, denkt sie ehrgeizig: „Mein Deutsch kann nie gut genug sein, wenn meine Schüler viel besser Deutsch sprechen können als ich.“

Mittlerweile ist ihr aufgefallen, dass viele Immigranten der deutschen Sprache gleichgültig gegenüberstehen. Réka kann sich nicht vorstellen, dass man sich hier wohl fühlen kann, ohne die deutsche Sprache zu beherrschen. Dauernde Verständigungsprobleme verhindern ihrer Meinung nach, dass man hier glücklich und in Frieden leben kann. Es ist ihr wichtig, dass man die Sprache beherrscht, wenn man in einem fremden Land lebt, denn wie sollte man sich sonst verständigen? „Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg“, sagt sie, „man muss es nur wollen.“ Man sollte keine Angst davor haben ausgelacht zu werden. Manchmal sollte man sich auch überwinden und einfach den Mund öffnen. Sie selbst hat die Erfahrung gemacht, dass sie trotz ihrer sprachlichen Fehler freundlich und gut behandelt wurde. Damit hatte sie nicht unbedingt gerechnet. Sie hat sich bisher noch nie diskriminiert gefühlt. Sie wurde immer von der Gesellschaft gut aufgenommen. Bisher hat sie insgesamt positive Erfahrungen gemacht.

Heute ist sie sehr dankbar dafür, dass so viele Leute ihr geholfen und sie jederzeit unterstützt haben. Ihr Leben in Deutschland ist deutlich besser als das in Ungarn. Auch ihre Eltern sehen das ein. Mittlerweile kann sie Osnabrück als ihre Heimat bezeichnen. Für sie beginnt hier ein neuer Lebensabschnitt. Sie ist froh und glücklich hier leben zu dürfen. Sie ist in mehreren Musikschulen der Osnabrücker Umgebung als Klarinettenlehrerin und Kammermusikkünstlerin tätig. Darauf ist Réka sehr stolz.

Der Kreis von Rékas Erzählung schließt sich mit dem alten Mundstück ihrer Klarinette, das sie seit ihrem 16. Lebensjahr besitzt. Das Stück hat sie auf all ihren Reisen begleitet. Irgendwie ist ihre Klarinette auch mit Schuld daran, dass ihr Weg sie nach Osnabrück geführt hat. Aus ihrer Liebe zur Musik kam sie hierher. Vor einigen Jahren ist das Mundstück zerbrochen und Réka kann es nicht mehr verwenden. Stattdessen kann es nun im Museum etwas von ihrer Geschichte erzählen.

(Mary-Adelheid Drezewski)


Steckbrief

Titel: Mundstück einer Klarinette
KünstlerIn/HerstellerIn: Vandoren
Material/Technik: Kork, Holz, geschnitzt; Leder, Metall (Blattbefestigung)
Herstellungsort: Paris, Frankreich
Datierung: um 1999
Maße: Länge: 9 cm; Ø 2,8 cm
Bemerkungen: Blatt: 2 ½, Vandoren, France Supérieure
Aufbewahrungsort: Osnabrück, Kulturgeschichtliches Museum, A 5658

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