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15. Der kaiserliche „Mohr“ mit Schellenbaum

Musikkapelle des preußischen Garderegiments, RAPI-Bastelbogen, Sorau/Niederlausitz, zwischen 1907 und 1937

Das Militär prägte die Ära des deutschen Kaiserreiches (1871–1918). Dies resultierte aus der Tatsache, dass der Gründung eines einheitlichen Nationalstaates drei Kriege vorausgegangen waren. Nach Siegen gegen Dänemark (1864) und Österreich (1866) besiegte Preußen 1870/71 gemeinsam mit seinen deutschen Verbündeten Frankreich. Die Proklamation des deutschen Kaiserreichs am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal des Schlosses von Versailles war eine bewusste Demütigung der soeben besiegten Franzosen. Die Errichtung des deutschen Kaiserreiches „mit Blut und Eisen“ – wie der preußische Ministerpräsident und erste Reichskanzler Bismarck als einer der Hauptakteure seine Politik nannte – führte dazu, dass in der folgenden wilhelminischen Gesellschaft dem Militär eine besondere Stellung eingeräumt wurde.

Die Reichsgründung von 1871 kam allerdings für viele national gestimmte Deutsche äußerst spät, wenn nicht zu spät. Der dadurch angestaute Nationalismus suchte sich daher neue Ziele. Der junge Staat konkurrierte mit den etablierten Imperialmächten um eigene Kolonialgebiete, insbesondere mit Großbritannien. Deutschland beanspruchte wie sie einen „Platz an der Sonne“, hieß Besitzungen in Übersee und den Status einer Kolonialmacht. Für diese „zweite Reichsgründung in Übersee“ (Klaus-J. Bade) agitierten – auch in Osnabrück – Kolonialvereine. Auf Ausstellungen wurde für koloniale Produkte geworben. Missionsvereine, die sich schnell mit einem besonderen Eifer der Bevölkerung in den betroffenen Gebieten annahmen, warben um Unterstützung, um in ihren neuen „Schutzbefohlenen“ „christlichen Geist (zu) pflanzen“. Auch in den deutschen Schulen gehörte die Vermittlung eines kolonialen Bewusstseins zum festen Bestandteil der Erziehung.

Beides – deutscher Militarismus und imperiale Überheblichkeit – fließen in einem Kriegsspielzeug zusammen, das aus einem Osnabrücker Kinderzimmer der wilhelminischen Zeit stammt. Es handelt sich dabei um einen vermutlich nach 1907 entstandenen RAPI-Bastelbogen. Die darauf gedruckten 33 Spielsoldaten zum Ausschneiden und Aufstellen stellen die Musikkapelle des preußischen Garderegiments dar. In der mittleren Reihe marschiert dabei unter vielen Weißhäutigen auch ein schwarzer Uniformierter. Er trägt den Schellenbaum der Kapelle. Hintergrund ist die Tradition, dass in militärischen Einheiten schon seit dem 18. Jahrhundert gerne „Mohren“ als Pauker oder Musiker eingesetzt wurden.

Dass dies noch im Kaiserreich üblich war, ist durch zahlreiche Fotos belegt. Reales Vorbild für den RAPI-Bogen S 7 war offensichtlich ein Marokkaner, den Kaiser Wilhelm II. bei einem Besuch am Hof des Sultans von Marokko dessen Leibgarde „abgeworben“ hatte. Wegen seiner außergewöhnlichen Körpergröße erregte dieser seit 1907 beim 1. Garderegiment als Schellenbaumträger viel Aufsehen. Dies kommt in dem Bastelbogen allerdings nicht zum Ausdruck, da hier alle Spielsoldaten einheitliches „Gardemaß“ haben. Der Marokkaner wurde 1918 wegen Krankheit aus dem Dienst entlassen.

Der Anschein, dass hier ein Afrikaner als gleichberechtigter Kamerad in den Reihen der Soldaten mitmarschiert, trügt. In dieser Zeit wurden Afrikaner von Europäern selten als gleichwertig betrachtet. Die Kolonien und ihre Bewohner waren die Kinder, das Kaiserreich das Mutterland, das ihnen Schutz gewährte; von Gleichwertigkeit keine Spur. Sie wurden gerne als kindlich und naiv dargestellt und entsprechend behandelt. Das heißt, dass sie generell kaum für voll genommen wurden. Wie bei dem hünenhaften Marokkaner zählte dagegen das Außergewöhnliche, das Exotische und Fremde, das bestaunt, ja begafft wurde. Dafür sorgten nicht zuletzt die kursierenden pseudowissenschaftlichen Rassetheorien, die farbige Menschen in die Nähe von Tieren rückten, die Weißen dagegen als „Krone der Schöpfung“ feierten.

Es verwundert daher nicht, dass sich deutsche Kindersoldaten im Ersten Weltkrieg entsprechend aufhetzen ließen. Bei ihrer Notreifeprüfung im Jahre 1915 rezitierten Osnabrücker Schüler des Ratsgymnasiums kurz vor ihrer Einberufung an die Front fleißig die fertigen Feindbilder, die ihnen zuvor beigebracht worden waren. Nach den Lutherworten „Und wenn die Welt voll Teufel wär ...“ gefragt, assoziierten sie andere Hautfarben ohne Zögern mit dem Bösen: „Schwarze, Braune, Rote; schlimmer als die können wir uns fast den Teufel nicht vorstellen.“ Dass die Engländer Kiautschou „den Gelben preis(gaben)“ und „als Kulturkämpfer (...) Schwarze, Braune und Rote, Wilde und selbst Menschenfresser“ gegen deutsche Soldaten aufboten, wurde den kaum Achtzehnjährigen als Verrat an der „weißen Rasse“ mit auf den Weg in den Krieg gegeben. Dort sollten sie auf die Kolonialtruppen ihrer Gegner treffen.


Steckbrief

Titel: Musikkapelle des preußischen Garderegiments (RAPI Bastelbogen S 7)
KünstlerIn/HerstellerIn: RAPI, Verlag und Druckerei Rauert & Pittius
Material/Technik: Karton, farbig bedruckt
Herstellungsort: Sorau/Niederlausitz
Datierung: Zwischen 1907 und 1937
Maße: 36,6 x 49,8 cm
Bemerkungen: Peter Martin: Schwarze, Teufel, edle Mohren. Afrikaner in Bewusstsein und Geschichte der Deutschen, Hamburg 1993, S. 126, Abb. S. 127
Aufbewahrungsort: Osnabrück, Kulturgeschichtliches Museum, A 5655 n-1

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